Strafende Gerechtigkeit und Rache auf der einen, Mitleid und Vergebung auf der anderen Seite. Wieso entscheiden sich Menschen für das eine oder das andere? Was passiert bei diesen Gefühlen in unserem Gehirn? Und vergeben Frauen wirklich schneller als Männer?
Antworten auf diese Frage liefert eine Untersuchung des University College London. Mit Hilfe eines Magnetresonanztomographen (MRT) wurde untersucht, was im Gehirn passiert, wenn wir sehen, wie einem anderen Schmerzen zugefügt werden.
Untersucht wurden Unterschiede zwischen Mann und Frau, und welche neurologischen Auswirkungen es hat, wenn der Bestrafte vorher mit uns kooperierte oder gegen unsere Interessen gehandelt hatte.
Entwicklung von Abneigung und Zuneigung
Insgesamt wurden 16 Männer und 16 Frauen untersucht. Neben dem jeweiligen Teilnehmer nahmen auch zwei Schauspieler an dem Experiment teil. Diesen wurde, natürlich ohne Wissen der Testperson, vorgegeben, wie sie sich im ersten Teil des Experiments verhalten sollten.
Der erste Teil des Experiments bestand aus einem zweistufigen Spiel. Der Testperson wurde ein Geldbetrag zur Verfügung gestellt, den diese einstecken und mit nach Hause nehmen oder in seinen Experimentpartner, einen der Schauspieler, „investieren“ konnte.
Entschied sich die Testperson dafür ihr Geld an den Schauspieler weiterzugeben, wurde der Betrag von den Wissenschaftlern verdreifacht. Die Testperson ging dann davon aus, dass ihr Gegenüber frei entscheiden konnte, wie viel Geld er oder sie an die Testperson zurückgibt. Einer der Schauspieler hatte jedoch die Anweisung einen fairen Betrag zurückzugeben (z.B. die Hälfte), der andere hatte die Anweisung sich unfair zu verhalten und wenig oder gar nichts zurückzugeben.
Somit war sichergestellt, dass die Testpersonen die erste Person mögen und eine Abneigung gegen die zweite Person entwickeln.
Schmerzende Stromschläge im MRT
Im zweiten Teil der Untersuchung ging es dann ans Eingemachte. Die Testperson wurde in einen MRT geschoben und die beiden Schauspieler so positioniert, dass sie von der Testperson gesehen werden konnten. Anschließend wurden alle drei an Stromdrähte angeschlossen.
Zunächst wurde der Versuchsperson ein leichter, aber schmerzender Stromschlag zugefügt. Dabei wurde beobachtet, welche Hirnareale aktiv sind. Anschließend bekamen die beiden Schauspieler unter Beobachtung der Testperson denselben Stromschlag.
Mitleid und Mitgefühl
Seit der Entdeckung der Spiegelneurone 1995 und den darauffolgenden Forschungsarbeiten war bereits bekannt, dass beim Beobachten von Handlungen und Emotionen grundsätzlich ein Spiegeleffekt auftritt. Sehe ich, wie ein anderer in die Luft springt, sind bei mir dieselben Hirnareale aktiv, wie wenn ich selbst in die Luft springe. Sehe ich, dass eine andere Person Freude oder Leid empfindet, sind bei mir dieselben Bereiche im Gehirn aktiviert, die mein eigenes Empfinden von Freude bzw. Leid steuern.
Insofern ist der erste Teil der Auswertung nicht besonders verwunderlich. Egal ob Mann oder Frau: werden einer Person, die ich als nett o.ä. einstufe Schmerzen zugefügt, bleibe ich nicht mehr objektiv. Mein eigenes Schmerzzentrum wird aktiviert, es kommt zu einer emotionalen Reaktion. Ich empfinde Mitgefühl und Mitleid.
Strafende Gerechtigkeit oder Vergebung – was passiert beim Bösewicht?
Aber was passiert, wenn einer Person, die uns negativ aufgefallen ist, Schmerzen zugefügt werden? Was wenn ein Übeltäter seine gerechte Strafe bekommt?
Nachvollziehbarerweise ist das Mitleiden und das Mitgefühl grundsätzlich geringer, wenn jemand, „der es verdient hat“, bestraft wird. Bei den Frauen sank das Mitgefühl um ein Drittel bis die Hälfte. Dennoch leiden sie mit. Sie empfinden selbst ein negatives Gefühl. Da alle gesunden Lebewesen negative Gefühle vermeiden und nach positiven Empfindungen streben, würden die untersuchten 16 Frauen eine Bestrafung verhindern wollen. Sie praktizieren Vergebung. Nicht aus moralischer Überlegenheit, sondern weil sie mitleiden und dies vermeiden wollen.
Und was passierte bei den Männern? Auch wenn die Durchschnittsbetrachtungen der Balkendiagramme etwas anderes nahelegen, muss zunächst einmal gesagt werden, dass es nicht „die Männer“ gibt. Nicht einmal in dieser relativ kleinen Gruppe von 16 Versuchsteilnehmern. 25% empfanden genau wie die Frauen. Mitleiden trotz Fehlverhalten des Experimentpartners. Die restlichen männlichen Testpersonen empfanden kein Mitleid mehr. Es hätte also keine Vergebung für den Bösewicht gegeben. Beim Großteil der übrigen Männer jedoch auch keinen emotionalen Anreiz zur Bestrafung.
Bei 30% der männlich Testpersonen ließ sich jedoch neben der Abwesenheit von Mitleid noch etwas anderes feststellen: das Belohnungszentrum war aktiv. Die Schadenfreude war neuronal nachgewiesen. Ein Mann dieser Gruppe freut sich, wenn der unfaire Spieler, der dem er sein Geld anvertraut hatte und der nichts zurückgab, nun endlich bestraft worden war.
Hier geht’s zum Forschungsbericht.
Männer wollen strafende Gerechtigkeit und Frauen bevorzugen Vergebung! Stimmt das wirklich?
„Frauen sind sozialer eingestellt als Männer“. Dieser Aussage würden die meisten Menschen zustimmen. Und auch die Evolution liefert Erklärungen für diese Ergebnisse. Da das Durchsetzen einer Bestrafung natürlich auch zu Gegenwehr führen kann, muss der Bestrafende emotional Belohnung erfahren. Nur dann wird er die mit der Bestrafung einhergehenden Risiken in Kauf nehmen. Männer sind körperlich stärker als Frauen und in der urzeitlichen Gesellschaft deshalb besser geeignet, eine Bestrafung durchzusetzen. Durch die entdeckten neuronalen Strukturen wird sichergestellt, dass nur die stärkeren Männer ein emotionales Bedürfnis nach Bestrafung entwickeln.
Ich denke, dass es aber auch von der Persönlichkeit abhängt. Schließlich sind auch nicht alle, sondern nur 30% der Männer über die Bestrafung erfreut gewesen. Im HUMM®-Persönlichkeitsmodell sind Rache und Zorn Bestandteil der Persönlichkeitskomponente Politician. Der Politician ist eine typisch männliche Komponente, aber auch bei manchen Frauen hat der Politician einen starken Einfluss auf den Charakter. Vielleicht ist es ja auch der Politician, der strafende Gerechtigkeit sucht und nicht ein Teil des Mannes.
Aber eventuell liegt es auch einfach an der Art der Bestrafung. Vielleicht bevorzugen Frauen andere Bestrafungsarten? Wo der Mann eine Prügelei anfängt, könnte die Frau zu Psychoterror greifen. Was wäre passiert, wenn die Bestrafung psychologischer oder finanzieller statt physischer Natur gewesen wäre?
Was ist Ihre Meinung? Streben Männer wirklich grundsätzlich strafende Gerechtigkeit an und können Frauen wegen ihrem ausgeprägten Mitleid wirklich besser vergeben?